Soziodrama-Labor läuft weiter
Auch in diesem Jahr 2022 wurde im Online-Sozidrama-Labor weiter experimentiert. Die letzte offene Enladung zum 14. November 2022 ist nun auch schon wieder geschichte. Thema war eine Auseinandersetzung mit der Ambivalenz der Endlichkeit.
Wenn Sie neugierig geworden sind, schauen Sie doch im neuen Jahr hin und wieder mal auf die Hompage des Deutschen Fachverbandes für Psychodrama. Dort werden Sie informiert werden, sobald eine neue Planung Gesalt angenommen hat.
Augenblicklich sind zwar einige aus dem ursprünglichen Laborteam (inklusive mir selbst) durch anderweitige Aktivitäten in einer Art Auszeit, doch sind auch neue Mitglieder hinzugekommen, so dass eins als sicher gelten sollte: Es wird auch 2023 weiter mit diesem spannenden Format experimentiert werden. Und sobald ich wieder etwas mehr Muße habe, soll es hier auch wieder aktuelle Berichte über die Ereignisse in unserem Experimentierraum geben.
Soziodrama-Labor im Zoom-Raum
Sozialpotitische Themen mit Methoden des Psychodramas angehen, das ist das Wesen des sogenannten "Soziodramas". Im Rahmen der Zoom-Zukunftskonverenz des DFP am 11.Januar 2021 hat sich u.a. ein deutsch-österreichisches Team gebildet, um die Möglichkeiten des digitalen Raums für soziodramatische Aktionen auszutesten und dabei auch selbst in kritisch-kreativer Resonanz mit einander und der Gesellschaft zu bleiben. Bislang fanden an drei Abenden Experimente zu unterschiedlichen Themen in diesem Labor statt.
Im Februar ging es zunächst um eine Themensammlung. Es wurde erprobt, wie eine Erwärmung fürs Rollenspiel vor dem Bildschirm gelingen konnte, wie man sich hier eine Bühne einrichten und in Rollen darauf agieren kann. Als Setting für ein soziodramatisches Spiel wurde dann eine Talkshow zur aktuellen sozialen Lage gewählt, in der ein "Vertreter der Identitären", ein "Marxist", eine "Vertreterin der Grauen Panther" und eine "Angehörige der Schweigenden-Mehrheit" aufeinander trafen. Neben dem "Moderator" hatten auch das "Coronavirus", die "Ohnmacht" und die "Verzweiflung" aktiv als verkörperte Rolle am Geschehen teil. Die Integrationsphase nach dem Spiel musste angesichts begrenzter Zeit kurz ausfallen. Die Rückmeldungen zeigten dennoch deutlich, dass Soziodrama im Zoom-Modus zwar anders, aber auf jeden Fall möglich ist. Es war teils eine intensive Einfühlung in die Rollen geschehen und auch die Wahrnehmung der anderen Akteure hatte eigene Reaktionen provoziert, so dass sich facettenreiche Eindrücke und unerwartete Erfahrungen einstellten.
Das nächste Treffen fand am Weltfrauentag statt. Damit war das Motto für ein Spielexperiment weitgefasst schon gefunden, musste aber freilich noch auf ein umsetzbares Thema an konkretem Ort mit konkreten Rollen konzentriert werden. Wir hatten uns vorgenommen, möglichst wiederum ein diverses Spektrum an Charakteren in einem Setting aufeinandertreffen zu lassen, das sich so nicht nur im konstruierten Bühnenraum findet. Die Wahl fiel auf ein Mehrgenerationenhaus, in dem ein neuer Putzplan erstellt werden musste. Warum das Putzen doch immer noch ein spezifisches Frauenthema ist, bei dem die Männerrollen fast überwiegend angenehmer zu verkörpern sind, zeigte sich beim Experiment an den Wahrnehmungen in unterschiedlichen Rollen. In der Surplus Reality der Zoom-Bühne trafen folgende typische Figuren aufeinander:
„Die Neue“ (muss viel arbeiten, um das Studium zu finanzieren), „der große Bruder“ (darf mehr als die Schwester); verwöhnter „BWL-Student“ (Feminist, aber trotzdem Macho); „Frau 40+“ (arbeitet freitags, hoher Sauberkeitsanspruch, Hang, die anderen zu verwöhnen), „Öko-Feministin“ (Politik ist wichtiger als Putzen; „Hausmeister“ (Macho).
Wir hatten schon etwas Übung, uns die Bühne einzurichten. Die Requisiten und leichte Kostümierung beförderten das Eintauchen in eine Bühnenwirklichkeit deutlich. Diesmal gelang es auch, noch so frühzeitig in Aktion zu kommen, dass ein Wechsel der Rollen möglich war. Dafür litt aber die Auswertungsrunde an nötiger Verkürzung. Für die Spielleitung (diesmal ein Zweierteam) bestand das Experiment eben auch darin, das nötige Maß an Rolleneinfühlung, Spielexploration und anschließender Reflexion zu finden. Die Bedingungen hierfür zeigten sich doch als deutlich anders als in analoger Interaktion. Auch stellten wir bei der Auswertung fest, dass die Rollencharaktere im Spiel sehr bei sich und ihren eigenen Problemen geblieben waren. Anzunehmen, dass diese Selbstbezogenheit und abgeschwächte soziale Resonanz gerade auch in der Gesellschaft mehr und mehr zur Herausforderung wird, stellt wohl keine besonders gewagte Hypothese dar. Im Spiel konnte dieser Umstand nun gewissermaßen hautnah erfahren und schließlich auch reflektiert werden.
Das Soziodrama-LAB fünf Wochen später im April stand nun schon etwas unter dem Vorzeichen der kommenden zweiten Zukunftskonferenz am 19. April 2021, wo die Ergebnisse des Labors präsentiert und ein öffentliches digitales Soziodrama-Angebot zumindest in Rohform vorangekündigt werden soll. Die aktuellen Pandemie-Umstände ließen uns bei der Themenwahl nicht viel Raum. Ihre Aufdringlichkeit war einfach zu groß. Ein Teammitglied berichtete davon, dass in seiner heimatlichen Großstadt es einen vielbesuchten See mit Rundweg gebe. Dieser Weg dürfe aktuell nur in einer vorgeschriebenen Richtung genutzt werden, ansonsten sind Ordnungskräfte im Einsatz, die relativ hohe Strafgelder verhängen, und dies auch an Minderjährige. Das Team war sich schnell einig, dass gerade für Jugendliche die Situation allmählich ein kaum zu ertragendes Ausmaß annehmen müsse, und wählte die beschriebene Szenerie als Setting für das Spiel-Experiment aus. Drei "Jugendliche": ein "links eingestellter Typ auf der Suche nach einem amourösen Erlebnis", ein "eher braver Jugendlicher mit ebenfalls amourösen Kontaktwünschen" und eine "corona-infizierte Jugendliche" kamen dort zusammen. Sie begegneten einer "älteren Lehrerin" und mussten sich mit einem "strikten Ordnungshüter" auseinandersetzten. Auch der „Romantische Trieb“ hatte eine Rolle erhalten und versuchte in dieser Situation die Menschen zu erreichen und in Beziehung zu bringen, was schließlich nicht gelang. Die Macht der Ordnungsgewalt setzte sich gefühllos durch und verbreitete Frustration.
In der Auswertungsrunde zur Spielszene wiederholte sich die Wahrnehmung vom Vormonat, dass wieder alle sehr mit sich selbst beschäftigt waren. Die „Lehrerin“ hatte anfangs noch Verständnis gezeigt, ging dann aber doch in ein Argumentieren und Aufrufen zur Vernunft über. Was konnte ihr denn auch anderes in den Sinn kommen. Ohne Vernunft ist die gesellschaftliche Lage nicht organisierbar, ohne Mitgefühl nicht menschlich zu durchleben. Im Soziodrama-Team wurde die lange Rücksichtnahme der jungen Menschen gegenüber den Älteren anerkennend festgestellt und nach den Grenzen des Möglichen für Jugendliche gefragt. Die Rollenerfahrung als Ordnungshüter war für die Akteurin, die diesen Charakter im Spiel übernommen hatte, besonders intensiv und erschütternd: Hier gab es keine inneren Konflikte, sondern ein Erleben davon, wie angenehm es sein kann, einfach den bürokratischen Richtlinien zu folgen und diese umzusetzen. Es zeigte sich uns, dass die gesellschaftliche Lagerbildung durch die Pandemie sich offenbar noch verschärfte. Dass sich insgesamt allerdings nicht wirklich ganz neue Probleme zeigten.
Noch ist kein Veranstaltungsformat fertig entwickelt. Es hat sich aber gezeigt, dass Soziodrama per Zoom ein Angebot ist, von dem zumindest auf der Mikroebene Impulse ausgehen können. Und das ist doch die Ebene, aus der die ganze Gesellschaft sich zusammensetzt. Wo sollen wir beginnen, wenn nicht bei uns und bei unserem Blick auf die Welt.
Sobald ein öffentliches Soziodrama-Zoom-Angebot steht, wird auf dieser Seite davon berichtet werden.
Antje Martina Mickan
Die Vorplanung wird konkret
Es steht ein Termin für das erste offizielle Zoom-Soziodrama der Arbeitsgruppe Soziodrama LAB des DFP:
Tragen Sie sich den 06. September 2021 (18-21 Uhr) in den Kalender ein.
Thema:
Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.
(Bertolt Brecht, Die Moritat von Mackie Messer)
Politisch engagiertes Soziodrama zur aktuellen Situation, initiiert und geleitet von dem aus der DFP-Zukunftswerkstatt enstandenen Soziodrama Lab
Leitung: Sabine Kern, Therese Wurm-Falk und Frank Sielecki
Die Anmeldung erfolgt über die DFP-Website.
Auch wenn im September den analogen Begegnungen (hoffentlich) weniger im Weg stehen wird, so ist ein Treffen zwischen Wien und Kiel oder noch darüber hinaus doch im Zoom-Raum ohne Reisezeit und Kosten leicht einzurichten. Nach vielversprechenden Proben kann die Prognose nur lauten: es wird richtig gut werden, ab wenn irgendwas nicht klappen sollte. Imperferkt ist Psychodrama und das Leben sowieso.